Mit dem Ineos Grenadier im Gelände und auf der Straße: Fahrbericht mit Video-Review.
Ein Regentag liegt hinter uns – und vor allem hinter dem Offroad-Gelände nahe dem Ineos-Werk im französischen Hambach. Wir sind vorbereitet: Nicht nur mit entsprechendem Schuhwerk und der Bekleidung, sondern vor allem mit den automobilen Alleskönnern: Neben dem Ineos Grenadier Station Wagon steht auch die neue Pick-up-Variante mit dem Zusatznamen Quartermaster zur Ausfahrt bereit.
Der Test im Video
Die steilsten Auffahrten und höchsten Hügel können wir heute leider nicht erklimmen. Der Regen sorgt für (zu) rutschigem Untergrund, um die nötige Sicherheit zu gewährleisten. Aber auch sonst gibt es viel zu entdecken. Und klar ist auch: Die weißen Geländewagen dürften bei Sonnenuntergang ordentlich eingesaut sein.
Die Firma Ineos Automotive entstand auf Initiative von Sir James Arthur Ratcliffe. Der Gründer und CEO des Chemie-Konzerns Ineos konnte das Produktionsende des klassischen Land Rover Defender nicht sonderlich gut verkraften. Nachdem JLR (Jaguar Land Rover) ihm weder die Lizenz noch die Produktionsanlagen zur Fortführung der Geländewagen-Geschichte vermachen wollte, plante der Brite eben ein eigenes Auto mit ganzer Marke drumherum.
Dabei scharte er namhafte Partner um sich und das Projekt. Magna führte Regie bei der Entwicklung, ZF liefert die Automatikgetriebe, Brembo die Bremsen und BMW die Reihensechszylinder-Motoren als Benziner und Diesel. Die Sitze kommen von Recaro. Deren Insolvenz führte zu einem schmerzlichen Stopp der Produktion im Ineos-Werk im Hambach, das einst „dem Daimler“ gehörte, der dort Smart-Kleinwagen zusammenschraubte.
Bergen, schleppen, ziehen
Unter dem typischen Geländewagen-Design, das trotz diverser Anleihen beim klassischen Defender einen eigenen Stil zeigt und durchaus modern wirkt, steckt ein waschechter Geländewagen mit Leiterrahmen, Starrachsen und einem Verteilergetriebe mit Mitteldifferential.
3,5 Tonnen schwere Anhänger kann der Grenadier ziehen, die Stützlast lieg bei üppigen 350 Kilogramm. Die Abschleppösen am Rahmen sollen sogar eine Zuglast von sieben Tonnen aushalten. Genug, um schweres Gerät, beispielweise verrutschte Baumaschinen nach einem Starkregen-Ereignis, zu bergen. 5,5 Tonnen kann die Zubehör-Seilwinde an der Front in Richtung Grenadier ziehen.
Es gibt unzählige weitere Elemente am und im Auto, bei denen der praktische Nutzen in bestimmten Situationen im Fokus steht. An den Schienen im Profil lassen sich Haken einklinken, die mit bis zu 45 Kilogramm belastet werden können. Genug für eine Seite einer Hängematte zur Übernachtung im Rahmen einer Safari. Die statische Dachlast liegt bei 450 Kilogramm, es dürfen also auch mal Gäste mit ins Dachzelt. Spontaner Dachtransport ohne Träger? Auch das geht. Mit Bügeln lassen sich Spanngurte festzurren. Außerdem gibt es eine vorinstallierte Stromversorgung am Dach für Suchscheinwerfer und Co.
Motoren von BMW
Über einen Wählhebel in der Mittelkonsole wird die Gelände-Untersetzung eingelegt. Später werden wir noch über Drucktasten in der Dachkonsole die Differenzialsperren an Vorder- und Hinterachse hinzunehmen, jetzt wird erstmal der Offroad-Modus aktiviert. Er legt u.a. die Fahrassistenz und die Rückfahrwarner still.
Der BMW-Dieselmotor, ein Reihensechszylinder mit 249 PS und 550 Newtonmetern Drehmoment, grummelt entspannt unter der hohen Haube. Die BF-Goodrich-Geländereifen wühlen sich durch den Matsch, den der Regen hinterlassen hat. Wir schaffen eine Seitenneigung von rund 30 Grad, bevor das Auto zu rutschen beginnt. Das volle Potenzial des Grenadier in vielen Offroad-Eigenschaften können wir heute nicht auskosten.
Wohl aber die Wattiefe. 80 Zentimeter tiefes Wasser kann durchfahren werden, am besten mit aktiviertem Wat-Modus (der den Lüfter für den Motor deaktiviert). Die braune Brühe schwappt kurz unter der Gürtellinie am Fenster vorbei. Mit maximal 5 km/h, um eine zu große Bugwelle zu vermeiden, wühlen wir uns durch den Wassergraben. Zur Einordnung: Der Land Cruiser Defender schafft maximal 70 Zentimeter tiefes Wasser, der Land Rover Defender kann mit 90 Zentimeter Wattiefe mehr als die beiden Konkurrenten.
Wir verschränken Achsen, wühlen uns schlammige Auffahrten hinauf und verbringen den Tag im hellbraunen Wintermatsch. Der Ineos wirkt dabei stets unerschütterlich. Nichts knarzt oder raschelt. Der Innenraum wirkt ebenso gut verarbeitet wie die Karosserie. Den Boden kann man „auskärchern“. Wenn dann doch auch das Cockpit nass wird, ist das nicht schlimm. Die Knöpfe und Tasten haben bewusst große Spaltmaße, damit Wasser auch wieder herauslaufen kann.
Den Ineos Grenadier gibt es mit einer 4,90 Meter langen Karosserie als Nutzfahrzeug mit zwei oder fünf Sitzen oder als besser ausgestatteten Station Wagon, ebenfalls ein Fünfsitzer.
Was kann er auf der Straße?
Als zweite Karosserievariante kam zuletzt der Grenadier Quartermaster ins Programm. Er ist ein Pick-up mit Doppelkabine. Um Fünfsitzigkeit sowie eine 1,56 Meter lange und 1,62 Meter breite Ladefläche zu kombinieren, wächst der Offroader weiter. Die Karosserie des Quartermaster ist 5,44 Meter lang, der Radstand nimmt um 30,5 Zentimeter auf 3,23 Meter zu. Damit ist der Pick-up, trotz der identischen Bodenfreiheit von 26,5 Zentimeter minimal weniger geländetauglich als der Station Wagon. Aufgrund des größeren Achsabstands setzt er in bestimmten Situationen früher auf, der längere Überhang hinten könnte hier und da zu Bodenkontakt von Rahmen oder Anhängerkupplung führen.
Nach dem Gelände-Ausflug darf sich der Ineos Grenadier Quartermaster auf der Zufahrt zum 4x4-Gelände die Reifen sauberfahren, dann geht es raus auf die Straße. Hier zeigt sich erneut, dass der Grenadier kein weichgespültes SUV ist. Die Lenkung, die off-road für Zielgenauigkeit sorgt, wirkt jetzt maximal indirekt. Gefühlt musst Du rund 20 Meter vor einer Kurve oder einer Abzweigung einlenken, damit der Koloss rechtzeitig einlenkt. Vom Untergrund bekommt man als Fahrer nicht viel mit. Es wirkt, als ob noch immer eine 30 Zentimeter dicke Schlammschicht zwischen Auto und Straße plattgedrückt werden würde.
Auf der Autobahn soll der Grenadier bis zu 160 km/h schnell werden. Bis zur Richtgeschwindigkeit von 130 fühlt man sich noch wohl, mehr muss nicht wirklich sein.
Preise
Die Preise für den Ineos Grenadier Station Wagon und den Quartermaster liegen gleichauf: Beide kosten 72.640 Euro. Der geschlossene „Utility Wagon“ als Nutzfahrzeug ist mit 71.140 Euro etwas günstiger. Diesel oder Benziner? Das macht an der Kasse keinen Unterschied.
Eine unüberschaubare Fülle von nutzwertigem Zubehör, dass für fast jeden gewerblichen oder privaten Einsatzzweck die richtige Lösung bereithalten dürfte, lässt die Preise deutlich wachsen. Zudem gibt es die besser ausgestatteten Trialmaster-Modelle des Station Wagon (wie den Testwagen), die ab 81.890 Euro kosten.
Fazit
Es ist faszinierend, wie gut der Ineos Grenadier als Erstaufschlag einer Marke geworden ist. Als Nutzfahrzeug für den Geländeeinsatz macht ihm kaum ein Mitbewerber etwas vor. Somit wird er zur ernsthaften Alternative für Defender und Co. Wer nicht nur Länder oder Kontinente unter Vermeidung eines Straßennetztes durchquert, der genießt jedoch auf Asphalt in einem Toyota Land Cruiser mehr Komfort.
Das schmälert aber kaum den Reiz des Ineos Grenadier. Nur rund zwei Jahre nach seinem Marktstart macht er klar: Er ist schon heute ein Kult-Auto – auch, wenn er nicht ganz sauber ist.
Technische Daten
Ineos Grenadier Station Wagon // Quartermaster Diesel
- Antriebsart
- Diesel
- Antrieb
- permanenter Allradantrieb
- Hubraum
- 2.993 ccm
- Anzahl und Bauform Zylinder
- 6 in Reihe
- Maximale Leistung kW / PS
- 183 kW / 249 PS bei 3.250 - 4.200 U/min
- Max. Drehmoment
- 550 Nm bei 1.250 - 3.000 U/min
- Getriebe
- Achtgang-Automatik
- Tankinhalt
- 90 Liter
- Beschleunigung 0-100 km/h
- 9,9 Sekunden
- Höchstgeschwindigkeit
- 160 km/h
- Norm-Verbrauch auf 100km
- 10,9 - 12,1 Liter
- Reifenmarke und –format des Testwagens
- BF Goodrich All-Terrain T/A 265/70 R17
- Leergewicht
- 2.644 - 2.811 kg
- Anhängelast (gebremst)
- 3.500 kg
- Stützlast
- 350 kg
- Dachlast
- statisch bis 450 kg
- Länge / Breite / Höhe
- 4.896 / 1.930 / 2.036 mm // 5.440 / 1.930 / 2.019 mm
- Basispreis Baureihe
- 72.640 Euro // 72.640 Euro