Kia EV4

Kia EV4 Der Elektro-Kia für alle?

12:27 Min.

Der neue Kia EV4 im ersten Fahrbericht mit Video-Review.

Kia ist in der Kompaktklasse künftig mit einem Quartett unterwegs. Neben dem K4 und dem Xceed als Verbrenner bedient der Kia EV4 als Fünftürer und Steilheck und als Stufenhecklimousine mit dem Namen Fastback Kunden, die nach einem Elektroauto fragen. Dabei hat die Marke vor allem den europäischen Markt im Blick. Während der EV4 Fastback in Korea gebaut wird, kommt der Fünftürer als erster E-Auto der Marke aus dem europäischen Kia-Werk im slowakischen Zilina. Entwickelt wurde die Karosserievariante in Deutschland.

Wie alle aktuellen Elektromodelle von Kia baut der EV4 auf der E-GMP-Architektur (Electric Global Modular Platform) auf, als enger Verwandter der SUV EV3 und EV5 in einer Ausführung für Fahrzeuge mit Frontantrieb. Damit verzichtet er auf die teure 800-Volt-Technologie der größeren Modelle und auf entsprechend hohe Ladeleistungen. Trotzdem soll der EV4 gut in den Alltag seiner Käufer passen. Um zu prüfen, ob das gelingen kann, starten wir zur ersten Testfahrt.

Bis 633 km Reichweite

Zwei Akkugrößen bietet Kia für seine neue Kompakt-Baureihe an. 58,3 kWh Speicherkapazität im Basismodell sollen für eine Norm-Reichweite von bis zu 440 Kilometern sorgen, mit 81,4 kWh großer Batterie kommt der Fünftürer bis zu 625 Kilometer weit. Der aerodynamisch günstiger geformte EV4 Fastback (Luftwiderstandsbeiwert cW 0.23 statt 0.27) kommt weiter. Bis zu 456 Kilometer mit dem kleineren Stromspeicher, maximal 633 Kilometer mit 81,3 kWh. Die Ausstattung des Autos hat, wie bei Konkurrenzmodellen, einen direkten Einfluss auf den Radius – wie wir am Beispiel des Kia EV4 als Fünftürer zeigen. 625 Kilometer werden als kombinierte WLTP-Reichweite für den Kompakten mit 17-Zoll-Felgen angegeben. Wer 19-Zöller als Option bestellt, kommt 594 Kilometer weit. In der gehobenen Ausstattungslinie GT-Line mit geänderten Stoßfängern an Front und Heck sowie höherem Gewicht durch Mehrausstattung bleiben 584 Kilometer übrig. Immer noch ein sehr guter Wert, aber eben 41 Kilometer weniger als beim Basismodell.

Unabhängig vom Akku im Fahrzeugboden treibt stets ein Elektromotor mit 150 kW (204 PS) die Vorderräder an, der ein Drehmoment von 283 Newtonmetern bereitstellt. Kia widersteht also dem Trend, E-Autos mit immer höheren Leistungen anzupreisen, die der Kunde im Alltag nicht benötigt. Zumindest ist das aktuell der Fall, denn Luft nach oben gibt es auch hier. Wohl 2026 starten eine Allradversion mit zweitem Motor an der Hinterachse und ein sportlicher Kia EV4 GT. Das ist aber noch Zukunftsmusik.

Der Kia EV4 im Video

Wir sind im Hier und Jetzt. Das „Hier“ ist gerade die Costa del Sol im Süden Spaniens, das „Jetzt“ ein spätsommerlicher Freitagnachmittag mit Temperaturen knapp unter 30 Grad Celsius. Der Testwagen ist ein Kia EV4 GT-Line in „Wolf Grau“. Zum Start umrunden wir das Auto, lassen die Linienführung auf uns wirken. Das Design wirkt noch immer exzentrisch, aber auf der Straße weit weniger dramatisch als bei den vorangegangenen Terminen unter künstlichem Licht in Fotostudios.

Nachdem das Reisegepäck im mit 435 Litern üppig bemessenen Kofferraum verladen ist, beginnt die Sitzprobe. Im Fond bietet der Kia EV4 auch für große Menschen viel Komfort. Dank nach hinten geneigter Sitzfläche muss man die Beine, trotz dem Akku-Paket im Boden, nicht zu stark anwinkeln. Kopf- und Schulterfreiheit liegen auf sehr gutem Niveau. Störend ist nur, dass man die Füße kaum unter den in tiefer Position eingestellten Vordersitz bekommt. In der ersten Reihe schmeicheln weiche Netz-Kopfstützen den Hinterköpfen. Die Sitze bieten große Auflageflächen für Gesäß und Rücken. Als Teil eines optionalen Ausstattungspakets fährt die elektrische Verstellmöglichkeit für Fahrer- und Beifahrersitz mit, inklusive Memory-Funktion für den Platz hinter dem Lenkrad. Die beiden Positionen werden per Tastendruck in der Türverkleidung gespeichert und abgerufen. Ergonomisch sinnvoll sind hier auch Sitzheizung und -lüftung sowie die Lenkradheizung erreichbar.

Marvel fährt mit

In den Displays des Cockpits kann sich auf Wunsch die Logos von Marvel-Charakteren einbinden lassen.

Keine Überraschungen bietet das Cockpit. Zumindest dann, wenn man die anderen aktuellen Kia-Modelle kennt. Zwei in einer Ebene angeordnete Displays bieten eine üppige Informationsfülle, dazwischen steckt ein kleiner Touchscreen für die Klimafunktionen. Diese Anzeige wird aus Sicht des Fahrers vom Lenkradkranz fast vollständig verdeckt. Mit Druck auf ein kleines Kreuz lässt sich das Klimamenü jedoch ohne Umwege auf dem 12,3 Zoll großen Infotainment-Monitor darstellen. Hier kann man bei Bedarf auch personalisierte Details festlegen. Zum Start der neuen Infotainment-Generation erlaubt ein Lizenzvertrag zwischen Kia und Disney die Auswahl aus diversen Marvel-Charakteren, weitere sollen folgen. Die Position des eigenen Autos auf der Navigations-Karte wird dann beispielsweise mit einem Avengers-Logo dargestellt.

Nützlicher im Autofahrer-Alltag ist gewiss die Möglichkeit, den Akku vor einem Ladestopp auf eine ideale Temperator zu bringen. Das gelingt nicht nur bei aktivierter Routenführung auf langen Strecken mit einprogrammierten Ladestopps, sondern auch manuell. Smartphone-Inhalte können via Apple CarPlay oder Android Auto ohne Kabelverbindung dargestellt werden.

Trotz der großen Displays verzichtet Kia im EV4 nicht auf physische Bedienelemente im Multifunktionslenkrad und im Cockpit. Kippschalter erlauben die schnelle Änderung der Innenraum-Temperatur, eine Drehwalze die Änderung der Audio-Lautstärke. Alle Innenraumwelten verzichten auf die sonst übliche Auskleidung von Flächen mit schwarzem Hochglanz-Kunststoff. Da freut man sich, dass man nicht jeden Tag staubwischen muss und das Material ständig neue kleine Kratzer und Fingerabdrücke aufzeigt.

Der Fahreindruck

Im Süden Spaniens konnten wir erste Test-Kilometer mit dem Kia EV4 GT-Line sammeln.

„Ich weiß, was Sie jetzt denken – und Sie haben recht“. 792 Wörter sind bereits geschrieben und dankenswerter gelesen, aber noch immer nicht zum Fahrverhalten! Also: Es geht los!

Der permanenterregte Synchronmotor bringt den Kia EV4 zügig auf Tempo, ohne unberechenbar zu wirken. Die Spreizung zwischen den einzelnen Fahrmodi ist gut spürbar. Im Sport-Programm wirkt der Kia agiler und motivierter. Auf kurvigen Ladstraßen passt das gut mit der höchsten Stufe der per Schaltwippen am Lenkrad einstellbaren Energie-Rekuperation zusammen. Das Zusammenspiel der starken Verzögerung vor Kurven und Kehren ohne Betätigung der physischen Bremse und der direkte Antritt bei Druck auf das Fahrpedal sorgen für Fahrspaß. Auf der Autobahn oder innerorts rollt der EV4 im Eco- oder Normal-Modus entspannt im Verkehr mit. Der „I-Pedal“-Modus erlaubt ein Bremsen bis zum Stillstand, auch bei Rückwärtsfahrt. Schnell hat man die Reaktion der Software verinnerlicht und bringt das Auto vor einer roten Ampel oder am Fußgängerüberweg punktgenau zum Stillstand, ohne den Fuß auf das Bremspedal gesetzt zu haben.

Die vom Werk angegebene Höchstgeschwindigkeit von 170 km/h können wir im Rahmen der Testfahrten nicht ausprobieren, auf den Autobahnen rund um Malaga und Marbella liegt das Limit bei maximal 120 km/h. Auch hier überrascht, wie in der Stadt und auf Landstraßen, die Ruhe im Auto. Vom Antrieb ist kein Surren zu hören, auch Abroll- oder Windgeräusche bleiben draußen. Die Entwickler haben sich sichtlich Mühe gegeben, beispielsweise mit Doppelverglasung und einer Schaumeinlage in den speziell für den EV4-Fünftürer entwickelten Michelin Primacy.

Auch grobe Querfugen im Asphalt und nachlässigere Ausbesserungen in der Straßenoberfläche bügelt das Fahrwerk unaufgeregt weg. Der Fahrkomfort ist hoch, ohne dich hinter dem Lenkrad abzukoppeln. Die frequenzselektiven Dämpfer, die passiv auf Anregungen vom Rad reagieren, tragen die Früchte einer guten Abstimmungsarbeit.

Bei der Ladeleistung verzichtet Kia auf mögliche Rekordwerte. 128 kW sind in Verbindung mit dem großen Akku über den CCS-Anschluss maximal möglich (101 kW mit 58,3 kWh – Batterie). Damit liegt der EV4 deutlich unter einigen oder über dem Niveau vieler Mitbewerber. Wir hatten im Rahmen der Probefahrten keine Gelegenheit, den Füllstand des Akkus ausreichend weit zu senken, um das Ladeversprechen valide nachzuprüfen. Das holen wir bei einem späteren Alltagstest nach. 31 Minuten sollen laut Werksangabe für den Hub von zehn auf 80% SoC (State of Charge, Ladestand der Batterie) vergehen. Wechselstrom zieht der EV4 über drei Phasen mit 11 kW. Der Ladeanschluss steckt im rechten vorderen Kotflügel. Für Heimlader mit Wallbox in der Garage oder unter dem Carport eine suboptimale Position. Bordsteinparker freuen sich aber. Die V2L-Funktion (Vehicle-to-Load), mit der andere Verbraucher mit bis zu 3,5 kW geladen werden können, wird als Option angeboten.

In Sachen Stromverbrauch vertrauen wir heute also der Anzeige des Bordcomputers: 16,8 kWh / 100 km sind ein guter, aber kein rekordverdächtiger Wert. Die APP550-Maschine des Volkswagen-Konzern, die u.a. im ID.3 GTX eingebaut wird, ist effizienter. Mit dem mutmaßlichen Stromverbrauch liegt der Testwagen nur leicht über dem WLTP-Normwert von 16,2 kWh / 100 km. Eine hohe Reichweite von rund 500 Kilometern im Alltag (weil man ja nicht immer mit leerem Akku zum Lader schleicht) erscheint locker machbar – auch das prüfen wir alsbald nach.

Der EV4 Fastback

Der Kia EV4 Fastback kommt aus Südkorea, er wird global angeboten.

Leser und Leserinnen dieses Berichts mussten lange auf die Beschreibung der Fahreindrücke warten – dafür gibt es diese jetzt im Doppelpack. Umstieg in den Kia EV4 Fastback. Auch dieser Testwagen steht mit 81,4 kWh großem Akku bereit. Das Längenwachstum der Karosserie um 28 Zentimeter (30 cm ohne GT-Line) geht vollständig auf das Konto des hinten Überhangs. Er sorgt für einen 490 Liter großen Kofferraum, dessen Zugang durch einen kleinen Heckdeckel erschwert wird. Trotz der Fließheck-Karosserie ist der Kia EV4 Fastback eine klassische Limousine. Der Radstand beträgt, unabhängig vom Aufbau, 2,82 Meter. Gleichstand also beim Platzangebot? Ja, beinahe. Das flach nach hinten abfallende Dach des EV4 Fastback drückt großen Menschen im Fond auf den Kopf, ansonsten lädt auch das Interieur der Limousine zum gemütlichen Verweilen ein.

Unterschiede im Fahrverhalten sind nur im direkten Vergleich festzustellen. Der üppigere Hintern drückt in schnellen, engen Kurven das Auto etwas vehementer um den Scheitelpunkt. Wir bilden uns zudem eine um Nuancen weichere Abstimmung ein. Die Aufklärung folgt nach der entsprechenden Rückfrage bei den Entwicklern. Federn und Dämpfer sind bei beiden Karosserievarianten identisch, auch der nur geringe Gewichtsunterschied dürfte nicht spürbar sein. Der minimal andere Eindruck hat einen Ursprung in den Reifen. Der in Südkorea gebaute EV4 Fastback rollt auf GoodYear EfficientGrip im identischen Format (215/50 R19).

Preis-Vergleich mit dem ID.3

Die Kopfstützen des Kia EV4 mit gewebtem Material sind ausgesprochen bequem.

Nicht nur mit der Zahl in der Typenbezeichnung, sondern auch beim Preis sortiert sich der Kia EV4 im Modellprogramm der Marke leicht über dem EV3 ein. Los geht es mit dem Fünftürer in der Ausstattungslinie Air und 58,3 kWh großem Akku bei 37.590 Euro. Auf den ersten Blick ist der VW ID.3 in der Basis mit 33.330 Euro deutlich günstiger. Für eine bessere Vergleichbarkeit muss hier aber die Version mit 59 kWh großem Akku herangezogen werden, die bei 36.425 Euro startet.

Der getestete Kia EV4 GT-Line, bei dem der größere Akku immer serienmäßig ist, startet mit Steilheck-Karosserie bei 49.440 Euro. Mit den hier verbauten Optionen summiert sich der Listenpreis auf 53.700 Euro (inklusive V2L-Adapter). Durchaus selbstbewusst zeigt sich Kia also bei den Preisen, ein annähernd vergleichbar ausgestatteter VW ID.3 Pro S kommt auf 52.100 Euro. Auf der Habenseite des Kia steht, neben der besseren Sitzposition in beiden Reihen und der subjektiv stärkeren Wohnlichkeit im Innenraum, die Neuwagengarantie für einen Zeitraum von sieben Jahren bis zu einer Laufleistung von 150.000 Kilometern. Wer das Auto kauft und nicht least, dabei also eine entsprechend lange Haltedauer plant, muss dafür beim VW-Händler teure Pakete für Garantieversicherungen abschließen.

Der Kia EV4 Fastback ist mit beiden Akku-Varianten, jedoch nicht in der Basis-Linie Air lieferbar. Seine Preise starten als Earth bei 41.490 Euro. Die Limousine ist 1.600 Euro teurer als der Fünftürer mit Steilheck.

Fazit

Der Kia EV4 macht einen sehr guten ersten Eindruck. Ein sportliches GT-Modell ist bereits in Planung.

Das Design des Kia EV4 ist eigenständig und bricht mit Konventionen. Das dürfte nicht jedem potenziellen Käufer gefallen, sorgt aber für eine willkommene Abwechslung im automobilen Einerlei. Wir attestieren: In freier Wildbahn wirkt die Linienführung beider Karosserievarianten besser als auf Fotos oder Video.

Unabhängig vom Blechkleid hat Kia mit dem elektrischen Kompakten ein gelungenes Gesamtpaket geschnürt, das nur bei Kleinigkeiten Raum für Kritik lässt. Vor allem der hohe Fahrkomfort mit der guten Abstimmung von Federnd und Dämpfern sticht heraus, ebenso die Ruhe im Innenraum – auch und gerade bei Elektroautos nicht immer eine Selbstverständlichkeit.

Der Antrieb mit 150 kW ist ausreichend kräftig. Wer mehr will oder braucht, muss sich noch bis 2026 in Geduld üben. Ob der Kia EV4 sein Reichweitenversprechen einlösen kann und wie zügig er lädt, holen wir schon vorher mit einem Alltagstest nach.

Technische Daten
Kia EV4 81,4 kWh GT-Line

Antriebsart
Elektro
Antrieb
Frontantrieb
Maximale Leistung kW / PS
150 kW (204 PS)
Max. Drehmoment
283 Nm
Getriebe
Einstufen-Reduktionsgetriebe
Batterie
81,4 kWh
Batterie: Typ
Lithium-Ionen
Maximale Ladeleistung Gleichstrom (DC)
128 kW
Maximale Ladeleistung Wechselstrom (AC)
11 kW (dreiphasig)
Höchstgeschwindigkeit
170 km/h
Norm-Verbrauch kWh / 100 km
16,2 kWh
Reichweite nach Norm
584 Kilometer
Realer Verbrauch im Testzeitraum kWh/100 km
16,8 kWh (lt. Bordcomputer)
Kofferraumvolumen
435 - 1.415 Liter
Reifenmarke und –format des Testwagens
Michelin Primacy 5 Energy 215/50 R19
Leergewicht
1.910 kg
Anhängelast (gebremst)
1.000 kg
Stützlast
100 kg
Dachlast
80 kg
Länge / Breite / Höhe
4.450 / 1.860 / 1.485 mm
Basispreis Baureihe
37.590 Euro
Basispreis Modellvariante
49.440 Euro
Testwagenpreis
53.700 Euro
Text: Bernd Conrad
Bilder: Andreas Hof, Bernd Conrad